St. Pölten ist eine LGBTIQ-Freiheitsstadt | Interview mit Bürgermeister Matthias Stadler

St Poelten
6 September 2021
St. Pölten ist eine LGBTIQ-Freiheitsstadt | Interview mit Bürgermeister Matthias Stadler

​​​​Dieses Interview ist Teil unserer Kampagne #LoveWhereILive und unserer Reihe „#ProgressiveLocalStories“, die das Bewusstsein für die zahlreichen positiven Initiativen der progressiven Städte und Regionen in Europa schärfen soll. Die Städte und Regionen sind zu Testfeldern für innovative Lösungen geworden, und mit dieser Reihe wollen wir zeigen, welche Maßnahmen fortschrittliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Stadträte und -rätinnen sowie Regionalpräsidentinnen und -präsidenten zur Förderung und zum Schutz der Rechte von LGBTIQ-Personen ergriffen haben.

 

Ihre Stadt St. Pölten ist ein gutes Beispiel für die Förderung und den Schutz von LGBTIQ-Rechten. Was denken Sie als fortschrittlicher Lokalpolitiker über den Schutz der LGBTIQ-Rechte in Ihrer Stadt und in Europa?

St. Pölten ist eine Stadt, in der sich alle Bürgerinnen und Bürger wohlfühlen sollen und können – unabhängig von Geschlecht, Herkunft und sexueller Orientierung. Gerade als Kommunalpolitiker bin ich nah beim Menschen, merke durch Gespräche und eigener Erfahrung, wo es Konflikt- oder Verbesserungspotenzial gibt. In der letzten Zeit, die geprägt von der Corona-Pandemie war und viele Missstände der heutigen Gesellschaft aufgezeigt hat, wurde mir aber erneut klar, dass St. Pölten eine Stadt ist, in der man traditionell zusammenhält. Ein aktives Miteinanderleben und die Integration von allen Bevölkerungsschichten können diskriminierendes Verhalten verhindern und ein friedliches Zusammenleben fördern. Besonders freut mich, dass im diesjährigen Pride Month die erste Pride Parade von der Sozialistischen Jugend Niederösterreich veranstaltet wurde.

Hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen in Polen und Ungarn wird aber klar, wie viel wir noch zu tun haben. Auch in Österreich gibt es noch Verbesserungspotenzial. Laut einer groß angelegten Sora-Studie zu „Diskriminierungserfahrungen in Österreich“ im Jahr 2020 geben 73% der Befragten an, in den vergangenen Jahren Opfer von Diskriminierung bei Arbeit, Wohnen, Gesundheit oder Bildung gewesen zu sein. Beim Kampf gegen diskriminierende Tendenzen gegen LGBTIQ-Personen und für deren Rechte muss daher nicht nur auf gesellschaftlicher Ebene, sondern auch auf rechtlicher Ebene in allen Bereichen noch maßregelnd eingegriffen werden.

Rathaus

 

Welche konkreten Maßnahmen haben Sie ergriffen (oder planen Sie derzeit), um Ihre Stadt zu einer Stadt zu machen, in der die Rechte von LGBTIQ-Personen uneingeschränkt respektiert und gefördert werden?

Hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen in Polen und Ungarn sind nicht nur Zeichen, sondern auch Taten zu setzen, um einerseits LGBTIQ-Personen in unserer Gesellschaft zu stärken und andererseits Vorurteile und Stereotypen abzubauen.

Mit dem Gemeinderatsbeschluss vom 28. Juni hat sich St. Pölten auf Initiative der sozialdemokratischen Fraktion zum Freiheitsraum für LGBTIQ-Personen erklärt. Damit haben wir ein starkes Zeichen für Toleranz und Offenheit gesetzt. St. Pölten bekennt sich somit einerseits zu öffentlichen Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz der Rechte von LGBTIQ-Personen und anderseits zur ausdrücklichen Sanktionierung von Mechanismen der strukturellen Diskriminierung. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt St. Pölten verurteilt das Vorgehen der polnischen und der ungarischen Regierung gegen die Rechte von LGBTIQ-Personen, mit dem die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte eindeutig missachtet werden, sowie jede andere Form der Diskriminierung.

Zum Abbau von Diskriminierung und Vorurteilen gehört auch die Steigerung der Sichtbarkeit von LGBTIQ-Personen. Seit Juni 2019 hängt im Pride Month Juni die Regenbogenfahne prominent am Rathausplatz bzw. am Rathausturm. Seit der im Gemeinderat beschlossenen Erklärung zum Freiheitsraum ist das Hießen der Fahne auch für die kommenden Jahre fixiert.

Darüber hinaus setzt sich das Büro für Diversität seit Jahren stark in diesem Bereich ein und setzt immer wieder Projekte um und greift diversen Vereinen immer wieder unterstützend unter die Arme. Letztlich brachte sich das Büro für Diversität bei der Novellierung des Meldegesetzes mit einer Stellungnahme ein, um die sprachliche Diversität zu forcieren. Hier wurde eine sprachliche Neufassung angeregt, um Formulierungen zu etablieren, die alle, die angesprochen werden, auch nennen.

Das Büro für Diversität kommuniziert und vermittelt auf verschiedenen Kanälen und Medien. So wurde z. B. auch in der Podcast-Reihe „Zeit für mich“ in einer Sendung über das Aufwachsen als LGBTIQ-Person in einer heteronormativen Gesellschaft gesprochen.

St Poelten

 

Die Europäische Kommission hat letztes Jahr ihre erste LGBTIQ-Strategie vorgeschlagen und das Europäische Parlament hat kürzlich die EU zur LGBTIQ-Freiheitszone erklärt. Wie kann die Europäische Union weiter dazu beitragen, die Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen zu fördern und warum ist dies für Ihre Stadt wichtig?

Nicht nur in Polen und Ungarn erfahren LGBTIQ-Personen immer wieder Anfeindungen – von gewalttätigen Übergriffen, verbalen Attacken oder sonstigen Übertretungen. Die Gleichstellung und Gleichberechtigung sind in allen europäischen Mitgliedsstaaten (weiterhin) durch Maßnahmen auf allen Ebenen zu forcieren. In beinahe allen Bereichen sind LGBTIQ-Personen eher mit Diskriminierung oder Benachteiligung konfrontiert – sei es u.a. in der Politik, Arbeit, Gesundheit oder Wirtschaft.

Um flächendeckenden Schutz und Inklusion von LGBTIQ-Personen gewährleisten zu können, müssen entsprechende Rahmenbedingungen von der Europäischen Kommission geschaffen werden.

Diese Diskussionen dürfen allerdings nicht nur im Parlament stattfinden. Es liegt vor allem an den Parlamentarier*innen, die Strategie der Europäischen Kommission in ihre Wahlkreise zu tragen, um dort in der Regional- und Kommunalpolitik auf Umsetzung zu pochen.

 

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Bildnachweis:

  • Regenbogenfahne: Josef Vorlaufer
  • Rathaus mit Regenbogenflagge: Werner Jäger
  • SPÖ-Fraktion Pride Month: SPÖ St. Pölten
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