Roeser ist LGBTIQ-Freiheitsraum | Interview mit Bürgermeister Tom Jungen

Roeser local council
4 August 2021
Roeser ist LGBTIQ-Freiheitsraum | Interview mit Bürgermeister Tom Jungen

Ihre Gemeinde Roeser ist ein gutes Beispiel für die Förderung und den Schutz von LGBTIQ-Rechten. Was denken Sie als fortschrittlicher Lokalpolitiker über den Schutz der LGBTIQ-Rechte in Ihrer Gemeinde und in Europa?

Gerade als Lokalpolitiker ist man bekanntlich nah an den Menschen. In einer Gemeinde von knapp 6 800 Einwohnern kennt man sich, und da ist es meiner Überzeugung nach wichtig, dass man die Menschen zusammenbringt und versucht, ein Umfeld des Zusammenlebens, also des Miteinanders, zu schaffen, anstatt des Ausgrenzens. Dies gilt genauso für die Gleichstellung der Geschlechter, wie für Bürger und Bürgerinnen mit unterschiedlicher Herkunft, verschiedenen religiösen oder philosophischen Einstellungen und ganz klar auch für Mitmenschen, die Teil der LGBTIQ-Gruppe sind. Persönlich bin ich froh, in einem Land zu leben, in dem die sexuelle Identität heutzutage nur noch selten Grund für Diskriminierung ist. In meinem privaten wie politischen Leben hat meine persönliche Orientierung auf jeden Fall nie eine Rolle gespielt, und daher bin ich der festen Meinung, dass es meine Pflicht ist, Vorbild für andere zu sein und dazu beizutragen, Diskriminierungen und Vorurteile da, wo es sie noch gibt, abzubauen. Dies gilt für meine Gemeinde genauso wie für mein Heimatland und mein europäisches Engagement. Die Situation in Luxemburg hat sich während der letzten 25–30 Jahre sehr stark zum Positiven verändert. Daher glaube ich fest daran, dass Europa und engagierte, fortschrittliche Politikerinnen und Politiker auch andere Länder und ihre Bürgerinnen und Bürger in der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik voranbringen können. Dies sind wir unseren Mitmenschen schuldig. Lesbisch, schwul, trans- oder intersexuell sowie queer zu sein darf im Europa des Jahres 2021 nicht mehr der Grund für Ausgrenzung, Mobbing, psychische oder körperliche Gewalt bis hin zu Mord oder Selbstmord sein.

Roeser

Welche konkreten Maßnahmen haben Sie ergriffen, um Ihre Gemeinde zu einer Gemeinde zu machen, in der die Rechte von LGBTIQ-Personen uneingeschränkt respektiert und gefördert werden?

2021 hat der Gemeinderat meiner Gemeinde mehrere Initiativen ergriffen, die das Zusammenleben insgesamt stärken sollen. So hat die Gemeinde Roeser im Frühsommer zusammen mit der Familien- und Integrationsministerin sowie dem SYVICOL (interkommunaler Verband der Städte und Gemeinden Luxemburgs) einen neuen Pakt des Zusammenlebens” unterschrieben. 

Dieser Pakt soll die Integration aller Menschen auf kommunaler Ebene stärken sowie Vorurteile, Ängste und Diskriminierungen abbauen und die Gemeinschaft insgesamt in ihrer Diversität stärken. Dieser Pakt, welcher in einem kommunalen Integrationsplan münden wird, bezieht sich in erster Linie auf die Integration von Flüchtlingen und Menschen unterschiedlicher Nationalitäten in die luxemburgische Gesellschaft. Zu einer guten und vollständigen Integration gehört jedoch auch, dass man Menschen mit ihren unterschiedlichen Herkünften, ihrer Sozialisierung sowie ihre kulturellen, religiösen und ethnischen Unterschieden respektiert und sie, sofern nötig, an die Werte unserer europäischen und luxemburgischen Gemeinschaft heranführt. Zu unseren Grundwerten gehört zweifelsfrei, dass Benachteiligungen aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verboten sind. Wir haben die unterschiedlichen beratenden Kommissionen und Ausschüsse jetzt damit beauftragt, eine Bestandsaufnahme der Situation in unserer Gemeinde, die rund 42 % Nicht-Luxemburger zählt, zu machen. In diese Bestandsaufnahme wird die Zivilgesellschaft, u. a. auch durch die bestehenden Sport- und Kulturvereine, die Jugendinstitutionen oder die Seniorenorganisationen, miteinbezogen. Bisher stehen wir am Anfang dieses Prozesses. Alleine die Tatsache, dass sich unser Gemeinderat auf Vorschlag meiner sozialdemokratischen Fraktion einstimmig zur kommunalen LGBTIQ-Freiheitszone erklärt hat, hat bereits dazu geführt, dass sich seither einzelne Vereine bei der Kommunalverwaltung gemeldet haben, um nachzufragen, was sie zur Unterstützung dieser kommunalen Initiative als Sportverein oder Jugendorganisation selbst unternehmen könnten.

Als Generalsekretär der LSAP (Luxemburger Sozialistische Arbeiterpartei) habe ich meine sozialdemokratischen Genossinnen und Genossen dazu aufgerufen, die Initiative der SPE-Fraktion im Europäischen Ausschuss der Regionen zu unterstützen und den Entschließungsentwurf zu den LGBTIQ-Freiheitszonen in ihren jeweiligen Stadt- und Gemeinderat einzubringen. Seit heute haben auf diesen Aufruf hin neben Roeser, der Hauptstadt Luxemburg und der zweitgrößten Gemeinde Luxemburgs, Esch/Alzette, 19 weitere Gemeinden den entsprechenden Entschließungstext meist einstimmig angenommen. Andere liberal oder christdemokratisch geführte Gemeinden haben unseren Entschließungsentwurf selbst auf die Tagesordnung ihrer Gemeinden gesetzt, so dass sich mittlerweile fast die Hälfte der Gemeinden Luxemburgs zur LGBTIQ-Freiheitszone erklärt hat. Diese kommunale sozialdemokratische Initiative hatte zum Ergebnis, dass die Piraten eine fast identische Entschließung ins luxemburgische Parlament einbrachten. Auch diese Entschließung wurde einstimmig im Parlament angenommen*, so dass das Land zusätzlich zur vom Europäischen Parlament entschiedenen Freiheitszone auch vom nationalen Parlament als solche erklärt wurde.

 * Vier Abgeordnete einer rechtspopulistischen Partei haben sich bei der Abstimmung enthalten, so dass die Entschließung mit 56/56 Stimmen angenommen wurde.

Die Europäische Kommission hat letztes Jahr ihre erste LGBTIQ-Strategie vorgeschlagen, und das Europäische Parlament hat kürzlich die EU zur LGBTIQ-Freiheitszone erklärt. Wie kann die Europäische Union weiter dazu beitragen, die Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen zu fördern, und warum ist dies für Ihre Gemeinde wichtig?

Die Europäische Union hat in sehr vielen Bereichen, z. B. in der Familien- und Arbeitsmarktpolitik, in der Vergangenheit dazu beitragen können, dass die Grundrechte der Unionsbürgerinnen und –bürger gestärkt werden konnten. Als konkretes Beispiel denke ich sehr gerne an den Elternurlaub, der Ende der 90er Jahre auf eine Initiative der EU in den meisten Staaten überhaupt erst eingeführt wurde. Ich denke dabei aber auch an den Vaterurlaub oder aber auch die EU-Jobgarantie für junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Daher bin ich auch fest davon überzeugt, dass die Europäische Union auch im Bereich der Minderheitenrechte für LGBTIQ-Menschen eine wichtige Rolle in der Gleichstellung spielen kann und muss. Dies zählt sowohl innen wie auch außen. Innerhalb der EU unterstützt dies zum einen jene Mitgliedstaaten, die schon weiter in der Gleichstellungspolitik sind als andere Länder, und fordert vor allem jene Mitgliedstaaten, hauptsächlich die östlichen Länder, auf, selbst aktiv zu werden und bestehende Diskriminierungen sowohl in den Gesetzen als auch in den Köpfen eines Teils der Bevölkerungen abzubauen. Früher sprach man oft von Spanien oder Portugal, ja selbst von Luxemburg als konservativ geprägten Ländern mit hohem Einfluss der katholischen Kirche, die Frauenrechten und verstärkt noch LGBTIQ-Rechten gegenüber eher skeptische, teilweise rückständige Überzeugungen hätten. Heute sind es genau diese Länder, die an der Spitze fortschrittlicher Gesetzgebungen im Interesse der LGBTIQ-Menschen stehen. Die Initiative der sozialdemokratischen Gleichstellungskommissarin Helena Dalli kann daher nur dazu beitragen, Europa und seine Mitgliedstaaten in diesem Bereich voranzubringen. Das gleiche gilt jedoch auch nach außen, sowohl für die Beitrittskandidatenländer als auch für alle Nachbar- und Partnerländer der Europäischen Union. Daher bin ich voll und ganz auf der Seite jener Politikerinnen und Politiker, die sagen, dass LGBTIQ-Rechte Menschenrechte und daher genauso wie die Menschenrechtscharta nicht verhandelbar sind. Leider ist dies jedoch noch nicht überall in der Welt, auf unserem Kontinent und selbst innerhalb der EU der Fall. Daher brauchen wir auch die Umsetzung der LGBTIQ-Strategie der EU-Kommission.

 

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Bildnachweise: Tom Jungen

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