Jugendengagement im Saarland | Interview mit Christine Jung, Stadträtin in Saarbrücken

Christine Jung
19 December 2022
Jugendengagement im Saarland | Interview mit Christine Jung, Stadträtin in Saarbrücken

In diesem Interview berichtet Christine Jung, Stadträtin in Saarbrücken, darüber, wie das Saarland mit einer Reihe von Initiativen, die sogar über die Grenzen hinausgehen, das Engagement der Jugend in der Politik fördert.

Das Interview ist Teil unserer Interviewreihe „Jugend für Europa, Europa für die Jugend“, die die vielen inspirierenden Initiativen von fortschrittlichen Städten und Regionen in Europa in Bezug auf die Jugendpolitik ins Rampenlicht rückt.

Warum sind Saarbrücken und das Saarland fortschrittlich, wenn es um Jugendengagement in der Politik geht?

2021 hat sich das Saarland auf den Weg zu einer Jugendstrategie gemacht. In einer Zeit, in der junge Menschen besonders unter den Folgen der Corona-bedingten Einschränkungen gelitten haben, hat der saarländische Landtag eine 4-tägige Anhörung zum Thema eigenständige Jugendpolitik gemacht. Zu dieser Anhörung wurden Experten eingeladen, aber auch Vertreter von Ministerien, von Trägern der Jugendhilfe, von Jugendparteien, Jugendorganisationen, Kirchen, Umweltverbänden uvm. Das Besondere an dieser Anhörung waren die ganzheitliche Herangehensweise und die umfassende Beteiligung junger Menschen. Mit dem Landesjugendring hat das Saarland beispielsweise eine starke Stimme für Kinder- und Jugendpolitik, die die Interessen junger Menschen vertritt.

In der Anhörung hat sich gezeigt, dass sich junge Menschen einbringen möchten, und zwar in alle gesellschaftlich relevanten Themenbereiche, wie Klimaschutz, Mobilität, Bildung, Kultur und Digitalisierung. Sie möchten gehört werden, aber auch Verantwortung übernehmen. Junge Menschen wollen auch früher mitentscheiden dürfen und dafür sollte das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden. Ein wichtiges Mittel zur Berücksichtigung der Belange junger Menschen könnte auch ein Jugend-Check sein. Gesetzesvorhaben werden dabei konsequent auf ihre Auswirkungen für Jugendliche untersucht und gegebenenfalls angepasst.

Was aber auch deutlich wurde ist, dass viele junge Menschen aufgrund ihrer Lebenssituation kaum die Möglichkeit zur Beteiligung haben, weil sie in Armut leben. Diese Jugendlichen haben oft keinen ruhigen Platz zum Lernen, haben keinen PC, sind nicht Mitglied in Vereinen, sind wenig mobil. Die Pandemie hat diese Entwicklung noch verschärft. Bildunsgeinrichtungen waren – vor allem in Deutschland – wochenlang geschlossen und der Zugang zu Bildung lange Zeit erschwert. Jugendliche waren isoliert, weil Treffpunkte geschlossen und private Treffen verboten waren. Die psychische Belastung von jungen Menschen ist stark gewachsen. Deshalb wird in Umfragen von Jugendlichen auch mehr Einsatz für psychische Gesundheit gefordert.

Auch zur Sicherung der Demokratie ist es wichtig, dass junge Menschen sich früh in Entscheidungsprozesse einbringen können und lernen, dass sie selbst Dinge erreichen können. Gerade in Zeiten von Fake News und der volatilen Situation politischer Parteien ist es von zentraler Bedeutung, dass die jungen Generationen den Wert der Demokratie schätzen lernen. Als Kommunen können wir den Jugendlichen Räume zur Verfügung stellen, in denen sie sich treffen können, wo Jugendarbeit stattfinden kann und wo junge Menschen lernen, sich selbst zu befähigen.

Diese Landtagsanhörung ist der Ausgangspunkt für eine ganzheitliche Kinder- und Jugendpolitik der neuen Landesregierung, die sich die Bekämpfung der Kinderarmut, Chancengerechtigkeit in der Bildung und die Stärkung der demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten vorgenommen hat.

Können Sie uns eine oder mehrere erfolgreiche Initiative nennen, die ins Leben gerufen wurden, um junge Menschen in Ihrer Stadt und in Ihrem Bundesland zu stärken?

Saarbrücken und das Saarland unterstützen jugendliches Engagement auf vielen Ebenen.

Ein wichtiger Schwerpunkt ist dabei die demokratische Bildung. Durch die geografische Lage an der deutsch-französischen Grenze und zu historisch bedeutsamen Stäten wie den Schlachtfeldern der Spicherer Höhe und dem ehemaligen Gestapo-Lager Neue Bremm spielt dabei auch die grenzüberschreitende Jugendarbeit eine wichtige Rolle. Hier kommen jedes Jahr Jugendliche aus Deutschland, Frankreich und Luxemburgzu gemeinsamen Workcamps unter dem Titel „Buddeln und Bilden“ zusammen. 

Der Regionalverband Saarbrücken, bei dem die kommunale  Zuständigkeit für Sozialpolitik liegt, beteiligt sich u.a. am Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ und legt dabei einen besonderen Fokus auf Jugendliche. Unterstützt werden Projekte, die die Förderung der Partizipation junger Menschen im Fokus haben und das Thema „Beteiligung“ als offene Bildungsangebote aufgreifen. In 7 Jugendzentren in Saarbrücken steht Jugendlichen Raum für Treffen, Aktivitäten und Projekte zur Verfügung.

Die Landeshauptstadt Saarbrücken hat mit ihrer Partnerstadt Nantes die Idee der Jungen Botschafter/in umgesetzt, bei der zwei junge Botschafter/-innen aus Nantes und Saarbrücken ihre Städte in der Partnerstadt vertreten. In einem europäisch geprägten Umfeld stehen sie in direktem Kontakt zu vielen Jugendlichen und aktiven Vereinen sowie Organisationen der Jugend- und Europaarbeit und schaffen dafür Begeisterung für die europäische Idee und gesellschaftliches Engagement. 

Was sollten Ihrer Meinung nach die 3 wichtigsten Prioritäten für unsere fortschrittliche Parteienfamilie sein, wenn es um die Jugendpolitik geht?

1. Klimaschutz: Wir müssen dafür sorgen, dass die Lebensgrundlagen für nachfolgende Generation erhalten bleiben. Wir müssen progressive Antworten geben, wie wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen und gleichzeitig den nachhaltigen Wandel gerecht gestalten können.

2. Vertrauen: Damit junge Menschen sich aktiv engagieren, brauchen sie das Vertrauen in demokratische Werte und die Hoffnung, dass sie Einfluss nehmen können. Wir müssen verhindern, dass sich junge Menschen von der Demokratie abwenden und sich extremistischen Parteien zuwenden. Dafür müssen wir die Beteiligung junger Menschen ernst nehmen und ihnen Möglichkeiten eröffnen, sich aktiv zu beteiligen. Dazu gehört das Wahlreicht ab 16, aber auch konkrete Einflussmöglichkeiten bei Projekten vor Ort.

3. Armutsbekämpfung: Kinder- und Jugendarmut erschwert den Zugang zu guter Bildung, ist Auslöser für psychische Krankheiten und verhindert die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. In Kindheit und Jugend werden die Grundlagen gelegt für das ganze Leben. Deshalb müssen wir die soziale Infrastruktur für Familien mit Kindern verbessern, das Bildungssystem stärken und auch den Arbeitsmarkt so gestalten, dass Familie und Beruf vereinbar sind.

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Welche Rolle können Ihrer Meinung nach junge Menschen bei den Europawahlen 2024 spielen?

Die Ampelkoalition in Deutschland hat kürzlich beschlossen, das Wahlalter für die kommende Europa-Wahl auf 16 Jahre zu senken. Und das ist richtig und wichtig! Denn viele politische Entscheidungen, die wir heute treffen – egal ob auf kommunaler, Landes-, Bundes- oder EU-Ebene, haben langfristige Folgen für kommende Generationen. Da ist es logisch, dass Jugendliche hier ein Wort mitreden und ihre Zukunft mitgestalten wollen. Jugendliche sind ja nicht erst irgendwann von den Entscheidungen betroffen, die heute gefällt werden, sondern jetzt! Junge Menschen haben eine genaue Vorstellung davon, wie die Welt, in der sie leben, in 20 oder 30 Jahren aussehen soll. Und diese Vorstellungen sollten sie auch politisch einbringen und mitbestimmen dürfen. Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ist deshalb eine besondere Chance, junge Menschen für die Demokratie und für die europäische Idee zu begeistern. Gerade junge Menschen setzen viele Hoffnungen in Europa, wenn es um ihre Zukunft geht. Als progressive Partei sollten wir unsere Vorstellungen für Europa gemeinsam mit Jugendlichen erarbeiten.

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