Dieses Interview ist Teil unserer Reihe „#ProgressiveLocalStories“, die darauf abzielt, das Bewusstsein für die vielen positiven Initiativen zu schärfen, die fortschrittliche Städte und Regionen in Europa im Bereich nachhaltige Entwicklung umgesetzt haben. Städte und Regionen sind zu Laboratorien innovativer Lösungen geworden. Mit dieser Reihe möchten wir herausfinden, wie fortschrittliche Lokal- und Regionalpolitiker(innen) Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise, zur Beseitigung sozialer Ungleichheiten und zum Aufbau nachhaltigerer Gemeinschaften ergreifen.
Frau Ministerin, warum ist Niedersachsen ein fortschrittliches Bundesland?
Niedersachsen liegt geografisch im Herzen Europas, hat eine vielfältige Wirtschaft, ist stark exportorientiert und setzt deshalb auf den europäischen Binnenmarkt und den Handel innerhalb Europas. Niedersachsen ist größer und wirtschaftlich stärker als mancher Mitgliedstaat. Das verleiht unserem Land eine starke Stimme auch bei europapolitischen Fragen.
Die Gründung eines Europaministeriums, das die Themen Europa und Regionale Entwicklung und damit auch die Regionalförderung vereint, war deshalb konsequent, aber auch fortschrittlich. In Deutschland sind wir bislang das einzige Land, das sich mit diesem einzigartigen Zuschnitt so deutlich für die Bedeutung, die Europa für uns hat und die die Regionen für Europa haben, ausspricht. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Interessen Niedersachsens können in einem Haus viel besser gebündelt und viel zielgerichteter nach Brüssel getragen werden. Das gilt wiederum in beide Richtungen.
In meinem Haus, dem Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung, verzahnen wir alle vier Ebenen: die Regionen, die Landesebene, die Bundesebene und die europäische Ebene. Die EU wirkt in den Regionen mit ihren Fördermitteln, aber auch mit ihren Vorgaben aus Richtlinien und Verordnungen. Gerade wenn es um die Debatte über den mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union und die Mittelausstattung in der Förderpolitik geht, ist ein solches Ministerium von unschätzbarem Wert und ein echter Standortvorteil.
Wie trägt Niedersachsen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele vor Ort bei?
Wir haben beispielsweise mit unserem Multifondsprogramm aus EFRE und ESF eine moderne Regionalförderung aufgebaut, um die Regionen und insbesondere die ländlichen Räume in all ihrer Unterschiedlichkeit besonders zu unterstützen. Und wir haben vier Ämter für regionale Landesentwicklung eingerichtet, die gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort passgenaue, regionale Entwicklungskonzepte und Förderprojekte für die jeweilige Region planen, bündeln und umsetzen.
Darüber hinaus fördern wir seit 2016 mit EU-Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds soziale Innovationen. Damit haben wir ein Experimentierfeld geschaffen, auf dem neue Wege und Lösungsansätze in den Bereichen Daseinsvorsorge und Arbeitswelt erproben können. Scheitern ist erlaubt, denn ohne Risiken kann es keine Innovation geben. In den letzten vier Jahren sind dabei viele tolle Projekte in den unterschiedlichsten Bereichen entstanden; vor allem solche, die Herausforderungen bei der Gesundheitsversorgung in den ländlichen Räumen angehen. Der Fördergegenstand ist jedoch offen gehalten und so gibt es auch ganz andere Projekte. Eines meiner Lieblingsvorhaben ist z.B. das Projekt WirGarten, mit dem lokale Gemeinschaften über die Produktion von Bio-Gemüse nachhaltig gefördert und regionale Wirtschaftskreisläufe unterstützt werden.
Was für uns als Experiment begann, hat sich mittlerweile zu einem stark nachgefragten Förderinstrument entwickelt, das lange deutschlandweit einzigartig war. Inzwischen hat es erste Nachahmer gefunden. Das zeigt, dass wir hier einen Nerv getroffen haben und es macht mich auch ein wenig stolz, dass Niedersachsen hier ein Impulsgeber für andere Länder ist.
Wie haben europäische Fördermittel Niedersachsen dabei geholfen?
Ohne Gelder aus Brüssel wäre Vieles, was wir in Niedersachsen machen, nicht möglich. Denn so verschieden wie Europa sind auch die Regionen in einem Flächenland wie Niedersachsen. Daher setzt Niedersachsen wie auch die EU auf eine bedarfsgerechte Unterstützung seiner Regionen, damit die Menschen in allen Teilen des Landes gleichermaßen Chancen und Zukunftsperspektiven haben. Europäische Fördermittel spielen dabei eine wichtige Rolle, weil sie direkt bei den Menschen vor Ort ankommen und damit den Mehrwert der europäischen Idee an konkreten Maßnahmen verdeutlichen. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sind das Zusammenspiel verschiedener Stakeholder sowie die Bildung von Netzwerken. Daher ist es auch in Zukunft zwingend erforderlich, dass diese regionalen Prozesse weiterhin durch europäische Fördermittel unterstützt und ermöglicht werden – insbesondere zur Unterstützung und Weiterentwicklung unserer ländlichen Räume, in denen etwa die Hälfte unserer Bevölkerung lebt und arbeitet.
Birgit Honé ist Ministerin für Bundes-, Europa- und Regionalentwicklung des Landes Niedersachsen und seit 2013 Mitglied im Europäischen Ausschuss der Regionen. Sie gehört der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an.