Dieses Interview ist Teil unserer Reihe „#ProgressiveLocalStories“, die das Bewusstsein für die zahlreichen positiven Initiativen der progressiven Städte und Regionen in Europa schärfen soll. Die Städte und Regionen sind zu Testfeldern für innovative Lösungen geworden, und mit dieser Reihe wollen wir zeigen, welche Maßnahmen fortschrittliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Stadträte und -rätinnen sowie Regionalpräsidentinnen und -präsidenten zur Förderung und zum Schutz der Rechte von LGBTIQ-Personen ergriffen haben.
Herr Oberbürgermeister, ihre Stadt Mannheim ist ein gutes Beispiel für die Förderung und den Schutz von LGBTIQ-Rechten. Was denken Sie als fortschrittlicher Lokalpolitiker über den Schutz der LGBTIQ-Rechte in Ihrer Stadt und in Europa?
Die Chancengleichheit und Teilhabe aller Menschen unserer Stadt sowie das respektvolle Zusammenleben in Vielfalt sind ein Kernanliegen der Stadt Mannheim und Teil unserer DNA als Stadt. LGBTIQ-Personen sind ein bereichernder und selbstverständlicher Teil der vielfältigen Mannheimer Stadtgesellschaft. Aus diesem Grund enthält auch das Leitbild „Mannheim 2030“ diesbezüglich eine klare Formulierung: „Im Mannheim 2030 wird kein Mensch aufgrund […] des biologischen und sozialen Geschlechts, […] der sexuellen oder geschlechtlichen Identität, des Geschlechtsausdrucks oder der vielfältigen Geschlechtsmerkmale herabgewürdigt oder diskriminiert. LSBTI sind selbstverständlicher und wertgeschätzter Teil der Stadtgesellschaft –von der Schule über das Arbeitsleben bis hin zum Fußballverein.“
Wie viele große Herausforderungen unserer Zeit, bspw. Klimawandel, internationaler Terrorismus etc. wird auch die erfolgreiche Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nicht ohne die Einbeziehung lokaler Strukturen zu bewältigen sein. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Vielfalt muss auf der lokalen Ebene adressiert werden. Dafür haben wir in Mannheim mit dem sogenannten Mannheimer Bündnis für ein Zusammenleben in Vielfalt eine Plattform des Austauschs und des Dialogs zwischen den unterschiedlichsten Zielgruppen (bspw. Frauen, LSBTIQ, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte) und Akteuren (Unternehmen, Vereine, Bildungseinrichtungen, Kulturinstitutionen, Kirchen und Gemeinden etc.) geschaffen, in dem durch die Zusammenarbeit von Akteuren, die bisher nicht zusammengearbeitet haben, effektiv gegenseitige Vorurteile abgebaut werden und neue Partnerschaften entstehen können. Die gemeinsame Basis bildet die „Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt“, in der sich auch die sexuelle und geschlechtliche Identität als personenbezogene schützenswerte Merkmale wiederfinden. Im Mannheimer Bündnis sind auch viele queere Vereine und Organisationen vertreten, die somit die Schwerpunktsetzung im Bündnis direkt mitgestalten können.
Welche konkreten Maßnahmen haben Sie ergriffen (oder planen Sie derzeit), um Ihre Stadt zu einer Stadt zu machen, in der die Rechte von LGBTIQ-Personen uneingeschränkt respektiert und gefördert werden?
Mannheim hat in Reih konkreter Maßnahmen in diesem Bereich ergriffen. Unter anderem:
Die Einrichtung der Beauftragung für die Chancengleichheit von Menschen vielfältiger sexueller und geschlechtlicher Identitäten im Jahr 2015 war ein wichtiger Schritt zu mehr Sichtbarkeit und struktureller Verankerung der Themen der queeren Community im Verwaltungshandeln.
Mit dem Runden Tisch sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gibt es in Mannheim eine Plattform für den regelmäßigen fachlichen Austausch zwischen der lokalen queeren Community, den queerpolitischen Sprecher*innen der Fraktionen aus dem Mannheimer Gemeinderat und der Verwaltung. Die dort gefassten Beschlüsse tragen zu einer Sensibilisierung und Verständigung auch über Parteigrenzen und gesellschaftliche Gruppen hinweg bei.
2015 ist die Stadt Mannheim Mitglied des Rainbow Cities Network. In diesem globalen Netzwerk tauschen sich Städte aus aller Welt über Strategien zur Stärkung der Chancengleichheit von Menschen der queeren Community aus. Seit 2018 ist die Stadt Mannheim im Vorstand engagiert
2019 hat die Stadt Mannheim die Arbeitgeberdeklaration „#positivarbeiten“ als Erstunterzeichnerin unterstützt und somit als Arbeitgeberin von über 8.000 Mitarbeitenden ein starkes Zeichen für die Akzeptanz von und Solidarität mit HIV-positiven Mitarbeitenden gesetzt.
Im Arbeitsfeld „Sicherheit“ hat die Stadt Mannheim gemeinsam mit der Stadt Heidelberg und der Psychologischen Lesben- und Schwulenberatung 2019 die Umfrage „Sicher Out?“ auf den Weg gebracht, die sowohl die persönliche Diskriminierungserfahrung als auch das Sicherheitsempfinden innerhalb der queeren Community untersuchte. Auf Basis der Ergebnisse wurden im Rahmen einer Sicherheitsbefragung 2020 erstmals explizite Fragen zur sexuellen und geschlechtlichen Identität in den Fragenkatalog mit aufgenommen, um konkrete Präventionsbausteine hieraus zu entwickeln.
2019 fand mit „JUNG & QUEER“ der erste städtische Beteiligungsprozess für junge queere Menschen statt, bei dem die Interessen, Bedarfe und Forderungen der queeren Jugendlichen strukturiert gesammelt, diskutiert und im Anschluss der Lokalpolitik präsentiert wurden. Die vier Themenfelder, bei denen der größte Handlungsbedarf gesehen wurde waren „Queerer Jugendtreff“, „Sicherheit im öffentlichen Raum/Nahverkehr“, „Unisex-Toiletten“ und „Aufklärungskampagne in der Schule/Jugendkontexten“. Als ein erstes Ergebnis wird die Einrichtung eines queeren Jugendtreffs aktuell im Jugendhilfeausschuss diskutiert.
Gemeinsam mit der Initiative lesbischer und schwuler Eltern (ILSE) wird seit einigen Jahren anlässlich des International Family Equality Day für die Anliegen von Regenbogenfamilien sensibilisiert.
Es gibt eine langjährige Förderung von Trägern in den Feldern der Beratungsarbeit von queeren Jugendlichen und queeren Geflüchteten sowie der Beratungs- und Präventionsarbeit zur sexuellen Gesundheit. Ebenso wird der Einsatz eines Aufklärungsprojekts in Schulen finanziell unterstützt.
2018 wurde von städtischer Seite ein Netzwerk zur Sichtbarkeit von queeren Frauen in Mannheim gegründet.
Die Europäische Kommission hat letztes Jahr ihre erste LGBTIQ-Strategie vorgeschlagen und das Europäische Parlament hat kürzlich die EU zur LGBTIQ-Freiheitszone erklärt. Wie kann die Europäische Union weiter dazu beitragen, die Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen zu fördern und warum ist dies für Ihre Stadt wichtig?
Sowohl die LGBTIQ-Strategie der Europäischen Kommission als auch der Einsatz des Europäischen Parlaments für die Grundrechte von LGTBIQ sind wichtige und notwendige Maßnahmen, die klarmachen, dass die Menschenrechte von vulnerablen Gruppen in der EU zum unveräußerlichen Kernbestand unserer Grundwerte gehören. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist gleichermaßen rechtliche Grundlage und Wertebasis.
Ein wichtiges Instrument zur Bestimmung der aktuellen Lage sind die regelmäßigen Analysen der europäischen Grundrechteagentur (FRA). Auf ihrer Basis können auch lokale Unterschiede in den einzelnen Mitgliedsstaaten gut erkannt werden. Da es jedoch auch innerhalb von Nationalstaaten sehr große Unterschiede gibt, ist es wichtig hier in Zukunft noch stärker die lokale Situation in den Blick zu nehmen. So kann das Engagement einzelner Städte oder Regionen gegen Diskriminierung und für Chancengleichheit sichtbar werden.
Das internationale Engagement der Stadt Mannheim findet auf Grundlage einer wertebasierten Zusammenarbeit statt. So hat sich die Stadt Mannheim bspw. 2020 einer Initiative des Europarates angeschlossen, die sich gegen die Selbstdeklaration einiger Städte und Regionen in Polen zu sogenannten LGBT-freien Zonen verurteilte. In einem Schreiben an unsere polnische Partnerstadt Bydgoszcz habe ich die Stadtspitze Bydgoszczs in ihrem vielfaltsfreundlichen Kurs bestärkt und Unterstützung angeboten wurde. Dem vorausgegangen war die Einladung von queeren Menschenrechtsaktivist*innen aus den Mannheimer Partnerstädten anlässlich der PRIDE WEEK im Rahmen des Projekts „Twin Cities. Together for Equality.“ in den Jahren 2017 und 2018. So konnte die Vernetzung von Aktivist*innen aus Polen, Litauen, Großbritannien, Israel, Moldawien und der Türkei durch die Stadt Mannheim unterstützt werden.
In diesem Zusammenhang wäre eine niederschwellige Förderung solcher Programme durch die europäischen Institutionen zu begrüßen, damit noch mehr zivilgesellschaftliche Akteure in einen Austausch treten und voneinander lernen stehen können.
Für die Stadt Mannheim ist die Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit von LSBTIQ jedoch nicht nur aus ethischen Gründen. Insbesondere für immer mehr junge Menschen spielt nicht nur die Positionierung des zukünftigen Arbeitgebers, sondern auch die Offenheit des potentiellen zukünftigen Wohnorts eine relevante Rolle. So ist die LGBTIQ-Freundlichkeit mittlerweile ein Standortfaktor, der nicht allein für LGBTIQ selbst, sondern im Sinne eines Lackmustests der Offenheit für Vielfalt auch für viele andere Talente eine Rolle spielt, wichtige Voraussetzung für Kreativität und Innovation ist und Auswirkungen auf die Attraktivität der Städte hat.
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Bildnachweise:
Foto 1 and 3: Stadt Mannheim, Alexander Kästel
Foto 2: Stadt Mannheim, Sören Landmann
Foto der Graphik: Stadt Mannheim, Stefan Müller
Video: Stadt Mannheim, LSBTI-Beauftragung