Ludwigshafen fördert LGBTIQ-Rechte | Interview mit Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck

Jutta Steinruck
28 July 2021
Ludwigshafen fördert LGBTIQ-Rechte | Interview mit Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck

Dieses Interview ist Teil unserer Kampagne #LoveWhereILive und unserer Reihe „#ProgressiveLocalStories“, die das Bewusstsein für die zahlreichen positiven Initiativen der progressiven Städte und Regionen in Europa schärfen soll. Die Städte und Regionen sind zu Testfeldern für innovative Lösungen geworden, und mit dieser Reihe wollen wir zeigen, welche Maßnahmen fortschrittliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Stadträte und -rätinnen sowie Regionalpräsidentinnen und -präsidenten zur Förderung und zum Schutz der Rechte von LGBTIQ-Personen ergriffen haben.

Ihre Stadt Ludwigshafen ist ein gutes Beispiel für die Förderung und den Schutz von LGBTIQ-Rechten. Was denken Sie als fortschrittliche Lokalpolitikerin über den Schutz der LGBTIQ-Rechte in Ihrer Stadt und in Europa?

Ludwigshafen am Rhein ist eine bunte Stadt, in der jeder Mensch die gleichen Chancen und Möglichkeiten hat. Hier ist jede*r willkommen – egal, woher die Menschen sind, welche Hautfarbe, Religion oder sexuelle Identität sie haben. Diskriminierung hat hier keinen Platz.

Mir ist aber bewusst, dass es nicht überall in Europa leicht ist für queere Menschen und dass sie in manchen Ländern immer noch gezwungen sind, ein Leben in Verschwiegenheit und im „Verborgenen“ zu führen; dass sie gewalttätigen Angriffen ausgesetzt sind; und dass sie keine Gleichbehandlung erfahren, z.B. bei der Arbeit, bei Mietangelegenheiten oder beim Umzug innerhalb der Europäischen Union.

Daher ist es mir besonders wichtig, regelmäßig das Gespräch mit der queeren Community in Ludwigshafen zu suchen und mich mit ihnen auszutauschen sowie generell in der Stadt das Bewusstsein für die Thematik zu schärfen. Ich kann seit meinem Amtsantritt im Januar 2018 einen positiven Wandel in Ludwigshafen beobachten. Das bedeutet, dass nicht nur die Institution Stadtverwaltung sich für die Thematik engagiert, sondern dass alle, die in der Gesellschaft Verantwortung tragen, sich einbringen: Unternehmen, Global Player, Interessengruppen, Kirchen. Überall ist Bewegung und Fortschritt zu beobachten, um das öffentliche Bewusstsein zu schärfen und mehr Akzeptanz einzuwerben.

Rathaus

Welche konkreten Maßnahmen haben Sie ergriffen, um Ihre Stadt zu einer Stadt zu machen, in der die Rechte von LGBTIQ-Personen uneingeschränkt respektiert und gefördert werden?

Wir haben vor 2 Jahren eine Kontaktstelle für queere Lebensweisen bei der Stadtverwaltung eingeführt. Diese versteht sich als Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Verwaltung (Hilfesuchende werden an die richtigen Ansprechpartner vermittelt, um dort umfassend beraten zu werden, z.B. rund um das Thema Transgender). Mitarbeiter*innen finden wichtige Informationen und Kontakte eigens im städtischen Intranet; nach außen hin vermitteln wir auf unserer Homepage Informationen und Kontakte. Die Kontaktstelle ist auch mit den queeren Verbänden und Initiativen vernetzt. In diesem Zusammenhang wurde außerdem ein mehrmals im Jahr stattfindender runder Tisch initiiert, bei dem ich mich als Oberbürgermeisterin gemeinsam mit meinen zuständigen Verwaltungsmitarbeiter*innen mit den Organisationen der queeren Community austausche.

Des Weiteren konnte ich als Stadtoberhaupt initiieren, dass wir als Stadt (Verwaltung und städtische Töchter) beim jährlich stattfindenden Christopher Street Day Rhein-Neckar mit einer eigenen Gruppe teilnehmen. Es ist mir ein Herzensanliegen, hier als Stadtoberhaupt und Verwaltungschefin zusammen mit dem Stadtvorstand ein Zeichen zu setzen, in erster Reihe sichtbar mitzulaufen und auch bei der Kundgebung unsere Botschaft zu übermitteln.

Eine weitere Maßnahme in puncto Sichtbarkeit ist die Etablierung von Gedenktagen im städtischen Veranstaltungskalender: einerseits wird jedes Jahr am 27. Januar am Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus explizit auch an die Menschen gedacht, die aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt wurden. Andererseits begehen wir nun seit 2 Jahren jährlich am 20. November den Transgender Day of Remembrance unter Beteiligung der Ludwigshafener Schulen. Schulklassen erarbeiten im Unterricht das Programm des Gedenktages und beschäftigen sich intensiv mit der Thematik.

Zuletzt ist das Hissen der Regenbogenfahne ein fester Bestandteil unseres städtischen Beflaggungskalenders: am IDAHOBIT am 17. Mai, im Pride-Monat Juni sowie jedes Jahr am CSD-Wochenende im August.

CSD Flagge

Die Europäische Kommission hat letztes Jahr ihre erste LGBTIQ-Strategie vorgeschlagen und das Europäische Parlament hat kürzlich die EU zur LGBTIQ-Freiheitszone erklärt. Wie kann die Europäische Union weiter dazu beitragen, die Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen zu fördern und warum ist dies für Ihre Stadt wichtig?

Die Entwicklung der letzten Jahre belegt, dass das Bewusstsein für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen in der Europäischen Union zunimmt. Noch ist aber nicht in allen Köpfen der Gleichstellungsgedanke verankert – das zu erreichen, sollte für uns alle ein wichtiges Ziel sein. Gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten in Europa muss die EU auch weiterhin verstärkt und entschlossen vorgehen. Hassreden und Gewaltkriminalität gegen sexuelle Minderheiten sowie deren Unterdrückung müssen weiterhin europaweit verfolgt werden. Auch gegen fragwürdige Praktiken, wie z.B. Psychotherapie und Verstümmelungen, sollte weiter vorgegangen werden, mit denen LGBTIQ-Menschen “umgedreht” werden sollen.

Besonders am Herzen liegt mir das Thema „Regenbogenfamilien“ und dass diese Familien dem traditionellen Familienbild gleichgesetzt werden, dies gilt auch im Bereich der Adoption. Generell müssen Familienverhältnisse und gleichgeschlechtliche Partnerschaften in ganz Europa den gleichen Stellenwert haben und die gleiche soziale Anerkennung genießen. Gegenseitiger Respekt, Toleranz sowie ein wertschätzendes und vorurteilsfreies Miteinander sind so wichtig für eine freie und friedliche Gesellschaft. Dies zu befördern, ist für uns als Stadt Aufgabe und Chance zugleich.

Sexuelle Orientierung ist keine Frage der Ideologie, sondern der Identität. Dies müssen wir mit aller Kraft schützen und uns für die Community stark machen.

 

***

Bildnachweise: Stadt Ludwigshafen

Top