Dieses Interview mit SPE-Fraktionsmitglied Tom Jungen, Bürgermeister von Roeser in Luxemburg, ist Teil unserer Kampagne #SafePlace4Women und unserer Reihe „#ProgressiveLocalStories“, die darauf abzielt, das Bewusstsein für die vielen positiven Initiativen zu schärfen, die von fortschrittlichen Städten und Regionen in Europa umgesetzt werden, um ein soziales, faires und nachhaltiges Europa zu fördern.
Warum ist Roeser Spitzenreiter bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen?
Wir haben den Anspruch an die Spitze jener Gemeinden aufzurücken, die dieses Ziel bereits erreicht haben, denn Gewalt gegen Frauen gibt es überall und leider noch immer viel zu viel. Leider bestehen keine verlässlichen Zahlen für meine 6.700-Seelen-Gemeinde südlich von Luxemburg-Stadt. Ich bin mir jedoch sicher, dass es dieses nicht akzeptable gesellschaftliche Problem, ebenfalls noch immer zu sehr, auch bei uns gibt. Die Annahme dieser Erklärung ist ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung.
Welche konkreten Maßnahmen haben Sie erfolgreich umgesetzt, um Ihre Gemeinde zu einem sicheren Ort für Frauen zu machen?
Der Gemeinderat von Roeser hat sich im November 2021 dazu entschieden die “Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern im kommunalen Leben” des RGRE anzunehmen. Daraufhin haben mehrere Ausschüsse (Gleichstellung, Soziales, Jugend) mit Unterstützung einer externen Beraterin begonnen, einen lokalen Aktionsplan zur Gleichstellung auszuarbeiten, wo die geschlechterspezifische Gewalt gegen Frauen, eines der Schwerpunkte war. Der fertige Aktionsplan wurde dem Gemeinderat im Februar 2023 vorgelegt und genehmigt, so dass jetzt mit der konkreten Umsetzung begonnen werden kann. Parallel hat Roeser in 2022 als eine der ersten Gemeinden eine Konvention (MEGA+) mit dem Ministerium für die Gleichstellung von Männern und Frauen unterschrieben. Ein Schwerpunkt im vergangenen Jahr war dabei die Gewalt gegen Frauen. Eine konkrete Maßnahme bestand darin, kleine Alltagsszenen der Gewalt mit Hilfe von Theaterstücken aufzuführen, um einem erwachsenen Publikum die Problematik direkt vor Auge zu führen. Diese Szenen wurden anschließend mit dem Publikum und anwesenden Experten von privaten Organisationen, z.B. Betreiber von Frauenhäusern, aber auch von Polizei und Justiz, gemeinsam diskutiert. Ganz besonders ergreifend waren spontane Aussagen aus dem Saal und insbesondere vereinzelte Erfahrungsberichte von Frauen, die selbst schon Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind. Ein weiteres Projekt waren kleine Ateliers in den Grundschulen der Gemeinde, wo zusammen mit Mitarbeitern und Beratern des Gleichstellungsministeriums, auf kindgerechte Art und Weise, das Thema Gewalt, oder aber auch der Kampf gegen bestehende Stereotypen, mit den Schulkindern besprochen und vermittelt wurden.
Roeser hat gerade eine Erklärung angenommen, in der es sich dazu verpflichtet, die Gemeinde zu einem #SafePlace4Women zu machen. Welche konkreten Schritte planen Sie?
Diese Erklärung soll vor allem ein klares Bekenntnis der lokal gewählten Volksvertreter sein, dass in unserer Gemeinde zum einen kein Platz für Gewalt im Allgemeinen und insbesondere gegen Frauen sein soll. Deshalb werden wir auch dieses Jahr unsere Zusammenarbeit mit dem Ministerium erneuern und wenn möglich sogar erweitern. Die ersten Schritte, die wir konkret unternehmen werden, sind mit entsprechenden Organisationen zu schauen, wie und unter welchen Bedingungen wir auch sichere Wohnungen zur Verfügung stellen können für Institutionen, die mit Frauen arbeiten, die ihr Heim kurzfristig verlassen mussten, auch wenn es klar in Luxemburg gesetzlich garantiert ist, dass nie das Opfer, sondern der Täter die gemeinsame Wohnung zumindest zeitbegrenzt verlassen muss. Trotzdem gibt es Fälle, wo Frauen, alleinstehend oder mit ihren Kindern, sicher untergebracht werden müssen, wo sie Schutz vor einem gewalttätigen Partner, was in deutlich überwiegender Zahl Männer sind, finden können. In diese Diskussionen wollen wir ebenfalls die Polizei miteinbeziehen, die ein bevorzugter Partner und Akteur im Bereich der Gewalt, sowie der Prävention ist. Außerdem wollen wir unsere Mitarbeiter in den verschiedensten Dienststellen weiterbilden, wie sie sich richtig verhalten können, wenn sie Zeuge von Gewalt werden oder eine Frau sich einem Mitarbeiter anvertraut. Das sind natürlich neben dem Sozialarbeiter, die Mitarbeiter des Bürgerzentrums, die Erzieher der KiTa, als auch der Mitarbeiter z.B. aus der Wasserversorgung, der zu einem Haus geht, um den Wasserzähler auszuwechseln.
Cet après-midi, le conseil communal de Roeser a adopté, sur base d‘une initiative du LSAP, une résolution déclarant la Commune de Roeser lieu sûr pour les femmes. A la base, cette résolution est le résultat d’une initiative du @PES_CoR @PESWomen #safeplace4women pic.twitter.com/a3am6IRIdH
— Tom Jungen (@TomJlux) March 27, 2023
Wie kann die Europäische Union dazu beitragen, Roeser zu einem sicheren Ort für Frauen zu machen?
Der Europäischen Union wird oft vorgeworfen nicht sozial genug zu sein, was zu einem Teil sicherlich auch stimmt. Andererseits gibt es jedoch bereits heute in den einzelnen Mitgliedsstaaten eine Reihe an sozialen Rechten, die es ohne die Europäische Union nicht geben würde. Ich denke hierbei z.B. auf das Recht von Elternurlaub nach der Geburt eines Kindes, also die Zeit die Mutter und/oder Vater, jedoch auch zwei Mütter oder Väter nach dem Mutterschafts-/Adoptionsurlaub noch gemeinsam mit dem Kind verbringen können. Das Gleiche gilt jedoch auch für eine Vielzahl unserer heutigen Grundrechte als Bürger der Union und insbesondere für die Rechte von vielen Menschen die zu einer Minderheit zählen.
Die aktuell gültigen Prioritäten der Kommission für die Jahre 2019-2024, besonders in den Bereichen „Abbau von Ungleichheiten“ und „Wahrung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit als Grundpfeiler von Gleichheit, Toleranz und sozialer Gerechtigkeit“ sehen bereits eine Reihe an weiteren Verbesserungen vor. Ich denke jedoch vor allem auch an die Resultate, beziehungsweise aktuellen Fortschritte unter der Verantwortung unserer Gleichstellungskommissarin Helena Dalli, so z.B. bei der Entwicklung einer europäischen Gleichstellungsstrategie zur Beseitigung von Hindernissen für Frauen, einschließlich Gender Mainstreaming und Gleichstellung am Arbeitsplatz mit verbindlicher Lohntransparenz; der Sicherstellung der vollständigen Umsetzung der Richtlinie über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie; die Stärkung der Reaktion der EU auf geschlechtsspezifische Gewalt und Stärkung der Opferrichtlinie; sowie die Prüfung der Aufnahme von "Gewalt gegen Frauen" in die Liste der EU-Verbrechen.
Diese kommunale Initiative stützt also durchaus auch die entsprechende europäische Politik der Gleichstellung im Kampf gegen konservative Kräfte, die regelmäßig versuchen das Rad der Geschichte zurück zu drehen.