Der seit Sommer 2021 anhaltende drastische Anstieg der Energiepreise, der durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine noch verschärft wurde, hat den europäischen Grünen Deal erneut in den Blickpunkt gerückt, ebenso wie die Notwendigkeit, sicherere, saubere und erschwingliche Energiequellen zu finden, um die Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen zu beenden.
Energiearmut und die COVID-19-Pandemie sind im Zusammenhang mit der Klimakrise nur die jüngst hinzugekommenen Spitzen des Eisbergs. Es ist ein langwieriger Kampf für die Europäische Union, die vor drei Jahren einen neuen ehrgeizigeren Plan für eine nachhaltigere Wachstumsstrategie ausgearbeitet hat, um den derzeitigen Klimanotstand zu bewältigen und niemanden zurückzulassen. Im Rahmen des europäischen Grünen Deals setzt sich die EU mit Klimaschutz- und Anpassungslösungen in allen Bereichen unserer Wirtschaft auseinander, mit denen sich durch ein gerechtes, umweltverträgliches und nachhaltiges Wachstum bis Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität erreichen lässt. Am 14. Juli 2021 hat die Europäische Kommission eine Reihe von Legislativvorschlägen angenommen (das sog. Paket „Fit für 55“), mit denen der Weg der EU zur Klimaneutralität festgelegt wird. Dazu gehört auch das Zwischenziel einer Nettoreduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 55 % bis 2030. Im Rahmen des Pakets wird die Überarbeitung verschiedener EU-Klimavorschriften vorgeschlagen, u. a. die Überprüfung des EU-Emissionshandelssystems (EHS) und die Einführung eines CO2‑Grenzausgleichssystems (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM).
Eine massive Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen (THG) ist der einzige Weg, die Erderwärmung deutlich unter dem im Übereinkommen von Paris festgelegten Grenzwert von 2 °C zu halten.
Befassen wir uns jedoch zunächst mit den Grundlagen.
Die Protagonisten: EHS und CBAM
Das EU-EHS wurde 2005 als zentrales Instrument der EU zur Bekämpfung des Klimawandels eingerichtet. Damit wurde ein europäischer CO2-Markt geschaffen, der in der Emissionshandelsrichtlinie geregelt ist. Das EHS beruht auf dem „Cap-and-Trade“-Prinzip, d. h. es gibt eine Obergrenze für die von der Industrie erzeugten CO2-Emissionen und eine feste Anzahl verfügbarer Zertifikate. Die EU räumt den Unternehmen die Flexibilität ein, Zertifikate von anderen zu erwerben, um die Obergrenze nicht zu überschreiten und Geldbußen zu vermeiden, bzw. bei niedriger Emissionsrate die Zertifikate zu behalten oder zu verkaufen. Im Rahmen dieser Regelung sind europäische Unternehmen zu Zertifikaten für ihre in der EU erzeugten CO2-Emissionen verpflichtet.
Das EHS ist in verschiedene Handelsperioden unterteilt. Derzeit befinden wir uns in der vierten Handelsperiode (2021-2030). Der EHS-Rahmen wurde im Laufe der Jahre mehrfach überarbeitet. Nun muss dafür gesorgt werden, dass er auch weiterhin mit den im Europäischen Klimagesetz festgeschriebenen übergeordneten Zielen der EU-Klimapolitik in Einklang steht. Da alle Industriezweige zu den Bemühungen beitragen müssen, soll die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten eingestellt, ein neues System für Gebäude und den Straßenverkehr entwickelt, der Seeverkehr in das EHS einbezogen und eine verstärkte Versteigerung von Zertifikaten für den Luftverkehr ermöglicht werden.
Ergänzend zu all diesen Maßnahmen wird ein zweites Instrument, das oben genannte CO2‑Grenzausgleichssystem (CBAM), eingeführt. Aufgrund der gestiegenen CO2-Preise hat das Emissionshandelssystem zu negativen Ausstrahlungseffekten geführt, namentlich zur Verlagerung von CO2-Emissionen. Um diesem umweltschädlichen Verhalten Einhalt zu gebieten, nutzt die EU das neue System, um EU-Importeure und deren Gesamtemissionen zu überwachen. Zudem müssen Importeure ab 2026 der Zertifikatspflicht nachkommen.
Die interessanteste Neuerung betrifft die Zuweisung der Einnahmen aus den Emissionszertifikaten sowohl des EHS als auch des CBAM. Bisher flossen diese Einnahmen überwiegend in die nationalen Haushalte. Nun schlägt die Kommission jedoch vor, 25 % der Einnahmen aus dem EHS und 75 % der Einnahmen aus dem CBAM einem besseren Zweck vorzubehalten. Dabei geht es um rund 12 Mrd. Euro pro Jahr im Zeitraum 2026–2030 (9 Mrd. EUR im Zeitraum 2023–2030) beim EHS und 1 Mrd. Euro pro Jahr im Zeitraum 2026-2030 (durchschnittlich 0,5 Mrd. Euro zwischen 2023 und 2030) beim CBAM. Diese Einnahmen sollen nun in den Innovationsfonds und den Klima-Sozialfonds fließen. Das übergeordnete Ziel besteht darin, durch die Bereitstellung finanzieller Unterstützung für die wirtschaftlich schwächsten Haushalte, Mobilitätsnutzer sowie Kleinst- und Kleinunternehmen sicherzustellen, dass bei der Umstellung auf Klimaneutralität niemand zurückgelassen wird.
Was haben Städte und Regionen damit tun?
Ohne eine aktive Beteiligung aller regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in Europa kann der europäische Grüne Deal nicht verwirklicht werden. Die progressiven politischen Entscheidungsträger sind sich dessen bewusst und bemühen sich mit vereinten Kräften darum, in ihren Regionen und Kommunen ein nachhaltigeres Handeln zu fördern.
Progressive Städte und Regionen setzen sich entschlossen für die Verwirklichung von Klimaneutralität ein. Für die SPE-Fraktion ist die Unterstützung durch einen gerechten Grünen Deal, bei dem kein Bürger und keine Region zurückgelassen wird, eine zentrale politische Priorität.
Peter Kurz, Mitglied der SPE-Fraktion und Oberbürgermeister von Mannheim (Deutschland), wurde zum Berichterstatter des Europäischen Ausschusses der Regionen für diese beiden wichtigen Dossiers bestellt. Bereits aus dem Titel seiner Stellungnahme „Anpassung des EHS und des CO2-Grenzausgleichssystems an die Bedürfnisse der Städte und Regionen der EU“ gehen die wichtigsten Botschaften unserer Empfehlungen hervor:
- Gewährleistung des territorialen Zusammenhalts, indem dafür gesorgt wird, dass die Bedürfnisse aller Regionen und benachteiligten Gruppen, ihre Besonderheiten und ihre Zukunft berücksichtigt werden;
- Anerkennung der Schlüsselrolle der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften bei der Verringerung der THG-Emissionen und einer erfolgreichen EHS-Reform und Einführung eines CO2-Grenzausgleichssystems durch die Berücksichtigung ihrer Standpunkte und die Nutzung ihrer Kompetenzen im Wege von Konsultationen;
- Ausstattung der Regionen und Städte mit geeigneten Instrumenten zur Bewältigung des Wandels, indem regionalen und lokalen – und nicht nur nationalen – Haushalten Mittel zugewiesen, gezielt weniger entwickelte Regionen mit EU-Mitteln, z. B. aus dem Modernisierungsfonds, gefördert und ein Teil der Einnahmen aus dem neuen EHS lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zur Verfügung gestellt werden;
- gezielte Lenkung von Mitteln in die Klimaziele, indem die von den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften verwalteten Einnahmen ausschließlich für Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an seine Folgen verwendet werden.
"We propose to directly involve local and regional authorities in the revenues generated from the auctioning of allowances in the building and mobility sectors.
This should make the transformation in regions affected socially sustainable."
Our #ETS and #CBAM rapporteur @obkurz pic.twitter.com/VirEBdbVya
— PES Group Committee of the Regions (@PES_CoR) November 23, 2021
Die beiden neuen Vorschläge zur Verringerung der CO2-Emissionen aus der Industrie sind ein weiterer Schritt, Worten durch grüne Innovationen Taten folgen zu lassen. Ein positiver Aspekt des CBAM ist auch, dass dadurch unlauterem und nicht nachhaltigem Wettbewerb Einhalt geboten wird. Durch diese Maßnahmen werden zwangsläufig auch andere Akteure außerhalb der EU auf diesen klimafreundlichen Weg mitgenommen. Die Welt muss Verantwortung übernehmen und sich zugunsten von Umweltsicherheit und grünem Wachstum von nicht nachhaltigen Mustern und Verhaltensweisen abkehren.
Wie bereits erwähnt, sind die finanziellen Vorteile beträchtlich: Innerhalb eines Jahres (Januar 2021 bis Februar 2022) wurden durch das EHS 30 Mrd. Euro erwirtschaftet, die unmittelbar Verbrauchern, benachteiligten Regionen und unterstützungsbedürftigen Gruppen zugutekommen und somit einem gerechten Wandel dienen können.
Vor diesem Hintergrund muss eine Gleichstellung der Geschlechter gewährleistet werden. Ebenso wie in anderen Bereichen sind Frauen auch von den Folgen des Klimawandels am stärksten betroffen und gleichzeitig eher bereit, zu handeln und sich auf nachhaltigere Lebensgewohnheiten umzustellen. Das EHS scheint sich tatsächlich auf sie weniger negativ auszuwirken als auf Männer.
Das politische Umfeld spiegelt das Potenzial von Frauen allerdings nicht wider: Sowohl bei der Planung als auch bei der Entscheidungsfindung herrscht ein unausgewogenes Geschlechterverhältnis.
Anpassung des EHS und des CO2-Grenzausgleichssystems an die Bedürfnisse der Städte und Regionen der EU
In den aktuellen Vorschlägen der Europäischen Kommission wird den am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen und Regionen nicht genügend Rechnung getragen, obwohl sie von den vorgeschlagenen Änderungen stark betroffen sein werden. Sie laufen erneut Gefahr, zurückgelassen zu werden.
Die Regionen und Städte mit ihren spezifischen Gegebenheiten müssen direkt und gezielt berücksichtigt werden, und die EU muss die erforderlichen Mittel bereitstellen, um sie bei der Einhaltung der neuen Vorschriften zu unterstützen. Es ist zu erwarten, dass die Regionen und Städte aufgrund ihrer hohen Abhängigkeit von CO2-intensiven Energiequellen, ihrer niedrigen Energiesteuersätze und ihres hohen Energieausgabenanteils durch diese legislative Verbesserung mit Ungleichheiten konfrontiert sein werden.
Bei der Überarbeitung müssen die von dem System betroffenen Bürgerinnen und Bürger vor Energie- und Mobilitätsarmut geschützt werden.
Wie der Erste Vizepräsident des Ausschusses der Regionen und Mitglied der SPE-Fraktion Vasco Alves Cordeiro erklärte „müssen wir dringender denn je zuvor unsere Klimaziele und Klimaschutzzusagen auf eine Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen und eine aktive Subsidiarität stützen. Das EHS darf weder den territorialen Zusammenhalt beeinträchtigen noch die schutzbedürftigsten Bürger und Gebiete gefährden. Die Regionen und Städte Europas verfügen über Schlüsselkompetenzen und Fachwissen im Energie- und Verkehrsbereich und müssen bei den Bemühungen der EU um Klimaneutralität eine zentrale Rolle spielen. Das EHS ist zwar ein wirksames Instrument zur Verringerung der Treibhausgasemissionen, doch müssen die Klimaziele mit dem Sozialschutz und der wirtschaftlichen Erholung in Einklang gebracht werden.“
Regionen und Städte sind Schlüsselakteure der Energiewende. Sie können dafür sorgen, dass die Ziele des europäischen Grünen Deals verwirklicht werden und gleichzeitig der territoriale Zusammenhalt in Europa gewahrt wird.
Die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften müssen im Rahmen von Konsultationen einbezogen werden, damit sie die Wirksamkeit des neuen EHS bewerten und darüber Bericht erstatten können, zumal sie über fundierte Fachkenntnisse in den betroffenen Bereichen verfügen. Daher müssen sie unbedingt informiert und an der Umsetzung der einschlägigen Rechtsvorschriften beteiligt werden.
Wie könnten sie sonst noch zum Wandel befähigt werden? Durch die direkte Zuweisung eines Teils der Versteigerungserlöse an die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften.
Mithilfe des EHS und des CBAM kann die EU ihr ehrgeiziges Ziel einer Verringerung der CO2-Emissionen um 55 % gegenüber 1990 bis 2030 verwirklichen und bis 2050 ein klimaneutraler Kontinent werden.
Progressive lokale und regionale Gebietskörperschaften leisten durch das Aufzeigen von Lösungen für grünere Städte bereits einen Beitrag und unterstützen die Bürgerinnen und Bürger gleichzeitig dabei, sorgsamer mit Energie umzugehen.
Ein Beispiel hierfür ist unser italienisches SPE-Mitglied Arianna Censi, die sich für eine größere Umweltfreundlichkeit in Mailand einsetzt.
🌍🌳 Il #pianoAriaClima è stato appena approvato dal #ConsiglioComunale del @ComuneMI pic.twitter.com/FCwMaOIiD9
— Arianna Censi (@AriannaCensi) February 21, 2022
Ein weiteres Beispiel ist die Region Okzitanien, die einen Plan zur Entwicklung von erneuerbarem Wasserstoff vorgeschlagen hat, um die THG-Emissionen und die Luftverschmutzung zu verringern. Allgemeine und berufliche Bildung sowie Beschäftigung sind feste Bestandteile der Strategie.
Die Europäische Union muss mehr Instrumente an der Basis zur Verfügung stellen, um ein umfassendes System zu entwickeln; wir müssen die Beteiligung der Regionen und Städte als wichtige Impulsgeber für Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an seine Folgen vorantreiben.
Wie die S&D-Schattenberichterstatterin und Verhandlungsführerin für das Europäische Klimagesetz Jytte Guteland bekräftigte, müssen durch das neue EHS die finanziell schwächsten und am stärksten benachteiligten Bürgerinnen und Bürger unterstützt werden, die sich die Umstellung auf nachhaltigere Lösungen nur schwer leisten können. Ziel ist es, allen eine bessere Zukunft zu sichern.
#ProgressiveLocalStories | 9⃣
When talking about mitigation, adaptation to climate change and less CO2 emissions, it's the role of mayors to bring citizens on board! 🌏
At #COP26, we called for a greater role of cities and regions on our way towards #ClimateNeutrality pic.twitter.com/ZDCE7zPOqJ
— PES Group Committee of the Regions (@PES_CoR) December 23, 2021